«Kahlschlag» bei der SBV-Wettstückliste

Porträt Martin Scheidegger
Die grossen Streichungen in der Wettstückliste des Schweizer Blasmusikverbands (SBV) durch die Musikkommission bewegen die Gemüter weiter. Auch SBV-Ehrenmitglied Martin Scheidegger hat uns dazu einen Leserbrief zugeschickt.

Seitdem die SBV-Wettstückliste überarbeitet und per 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt worden ist, habe ich verschiedentlich von kontroversen Diskussionen gehört. Nun wollte ich mir einen persönlichen Überblick über die Veränderungen verschaffen, obschon ich als Rentner, der seine Blasmusikkarriere nach 52-jähriger Aktivzeit beendet hat, nur noch marginal (Konzert-/Musikfestbesuche) tangiert bin.

In minutiöser Fleissarbeit habe ich die beiden Wettstücklisten miteinander verglichen. Nachdem die Liste 2022 noch 2684 Werke umfasste, beinhaltet sie seit 2023 nur noch 1051 Kompositionen. Während der Revision wurden sage und schreibe 1633 Werke gestrichen – ein veritabler Kahlschlag!

Die vom «Streichkonzert» am stärksten betroffenen Komponisten sammelte ich in einer Liste, die schlussendlich über 60 Namen umfasst. Eine stattliche Anzahl renommierter Schweizer Komponisten – u. a. Robert Blum, Jean Daetwyler, Pascal Favre, Otto Haas, Albert Häberling, Albert Jenny, Sales Kleeb, Hans Moeckel, Giusep Salm, Fritz Voegelin und Kurt Weber – ist auf der Wettstückliste 2023 nicht mehr vertreten. In meinen Augen ist das ein Armutszeugnis, insbesondere nachdem das Jahr 2023 vom SBV zum «Jahr der Schweizer Komponisten» ausgerufen wurde!

Es steht ausser Zweifel, dass die Werke aus früheren Zeiten nicht mehr den heutigen Anforderungen an eine wettspielgeeignete Komposition entsprechen. Doch mit der Streichung bekannter und vielgespielter Werke von genialen und ideenreichen Schweizer Komponisten früherer Zeiten aus der Wettstückliste geht ein beachtliches Stück Schweizer Blasmusikgeschichte verloren!

Eine besondere Tragik betrifft die Stiftung der Schweizer Musikanten «In memoriam Stephan Jaeggi». Der SBV patroniert diese seit 1962 bestehende Stiftung, die das Werk und das musikalische Vermächtnis des bekannten Komponisten erhält und fördert. Jährlich wird eine durch besondere Leistungen im Schweizer Blasmusikwesen verdiente Persönlichkeit mit dem Stephan-Jaeggi-Preis ausgezeichnet. Jaeggi selbst, der in der Wettstückliste 2022 noch mit 32 Kompositionen vertreten war, ist in der überarbeiteten Wettstückliste 2023 jedoch nur noch mit der «Festlichen Ouvertüre» präsent.

Aber auch international renommierte Komponisten wurden bei der Überarbeitung der Wettstückliste zurückgestuft. So sind beispielsweise John Ireland (Wettstückliste 2022: 10 Werke), Roy Newsome (10) und Denis Wright (12) auf der neuen Liste nicht mehr vertreten. Von John Golland (Wettstückliste 2022: 10 Werke) und Gordon Jacob (21) finden sich darin noch je drei Werke. Eric Ball (57), Goff Richards (16) und Gilbert Vinter (19) schafften es noch mit je vier Kompositionen in die Liste 2023. Alfred Reed (ursprünglich 27 Werke) verbleibt mit 12, Alan Fernie (29) mit 13, Edward Gregson (32) mit 15 und Peter Graham (30) mit 17 Kompositionen.

Für mich nicht nachvollziehbar ist auch die Streichung sämtlicher Werke zweier zeitgenössischer Komponisten, nämlich des Deutschen Markus Götz (10 Werke) und des Österreichers Otto M. Schwarz (15 Kompositionen). In den sozialen Medien wurde sie verschiedentlich diskutiert und mit Äusserungen bedacht, die dem Schweizer Blasmusikwesen bzw. dem Schweizer Blasmusikverband und seiner Musikkommission nicht sehr wohlwollend gesinnt sind.

Auf der Webseite des SBV beschreibt das Fachgremium die Beweggründe für die Überarbeitung der Wettstückliste durch die SBV-Musikkommissionsmitglieder Franco Cesarini (Leitung), Stéphane Delley, Christophe Jeanbourquin und Peter Schmid. Viele der in der Liste aufgeführten Werke würden den heutigen Bedürfnissen für Wettstücke an kantonalen und eidgenössischen Musikfesten nicht mehr entsprechen.

Die Liste sei im Laufe der Zeit auf 2700 Titel angewachsen und könne in diesem Umfang kaum mehr als Liste empfohlener Werke betrachtet werden. Nebst kleineren Änderungen sei bisher nie eine gründliche Revision durchgeführt worden. Deshalb habe sich die Arbeitsgruppe der Prüfung aller Stücke angenommen. Weiter werde die SBV-Musikkommission zum Entscheid über die Klassierung einzelner Werke nicht öffentlich Stellung nehmen, auch nicht über solche, die in der neuen Liste nicht mehr enthalten sind, und werde dies auch bei künftigen Klassierungsanträgen nicht tun.

Die neue Wettstückliste ist seit dem 1. Januar 2023 gültig. Dabei fällt auf, dass Stücke aus der alten Wettstückliste, die in der neuen fehlen, noch bis zum Ende des Eidgenössischen Musikfestes 2026 in Interlaken an Musikfesten gespielt werden dürfen. Dies könnte vermuten lassen, dass sich die Arbeitsgruppe ihres Tuns nicht sicher ist. Ob sie deshalb eine Fristerstreckung bis ins Jahr 2026 vorsieht? Gleichzeitig äussert sich die Arbeitsgruppe überzeugt von der Bedeutung ihrer Revisionsarbeit für die Zukunft der Musikvereine.

Für mich bleiben ein ungutes Gefühl und die Gewissheit, nach dem Jahr 2026 an einem Musikfest nie mehr ein Werk der vorerwähnten, aus der Liste gestrichenen Schweizer Komponisten hören zu können. Schade!

Münsingen, im Mai 2024, Martin Scheidegger, SBV-Ehrenmitglied

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