Silvia Lerch (50) ist ein «Brassband-Kind» und Vereinsmensch durch und durch. Auch die Diagnose «Morbus Parkinson» hält sie nicht davon ab, ihrer grossen Leidenschaft zu frönen, der Musik, und sich einen Traum zu erfüllen. Wir lernen eine mutige und willensstarke Frau kennen, die sehr offen ist und ihr Leben mit bewundernswert positiver Einstellung meistert. Dabei verrät uns Silvia Lerch auch, warum es für sie die letzte Option ist, die Musik und «ihren» Verein aufzugeben.
Silvia Lerch, erzählen Sie von sich.
Ich bin in Strengelbach AG in einer blasmusikbegeisterten Familie aufgewachsen, zusammen mit meinem um ein Jahr jüngeren Bruder Daniel. Nach meiner Lehre als zahnmedizinische Assistentin besuchte ich die Handelsschule und bildete mich später zur Projekt- und Testmanagerin sowie Organisatorin mit Schwerpunkt Versicherungssoftware weiter; für mich ein Traumjob. Heute lebe ich mit meinem Partner Thomas, mit dem ich seit 18 Jahren glücklich liiert bin, und unserem Hund Armin in der Region Olten.
Sie sagen von sich, Sie seien ein «Brassband-Kind».
Nach dem Blockflötenunterricht lernte ich mit zehn Jahren das Cornet-Spiel. Mein Vater Walter spielte Posaune im Musikverein Vordemwald, einer Brass Band, in der auch ich und mein Bruder, der ebenfalls Posaune gelernt hat, mit 15 Jahren Mitglieder wurden. Unser Grossvater sowie eine Tante und zwei Onkel waren ebenfalls im Verein aktiv. Gemeinsam mit ihnen erlebte ich mein erstes «Eidgenössisches» in Lugano (1991).
Dann zog es Sie weiter?
Richtig, danach wechselten mein Vater, mein Bruder und ich in die Stadtmusik Zofingen (Harmonie). Ich besuchte auch einen Unterstufen-Dirigierkurs des Aargauer Blasmusikverbands. Später gründete ich mit Kollegen der Jugendmusik Oftringen-Küngoldingen die heute noch bestehende Pig Farmers Big Band. Das war eine lässige Zeit.
Als Vollblut-Fasnächtlerin war ich zudem bei den Guggenmusiken «Schlosshüüler Lostorf» und «Sörchle-Gugge Trimbach» aktiv und später bei der «Herregäger Olte» , wo ich heute noch bei der Kinder- und Wagengruppe mitmache.
Auch ein Abstecher als Es-Hornistin in die Brass Band Fricktal steht in Ihrem Palmarès?
Aus beruflichen Gründen wohnte ich eine Zeit lang in Lenzburg. Kollegen, die in der BB Fricktal (heute AEW Concert Brass) spielten, fragten mich an. Mit dieser Band erlebte ich meinen ersten Auftritt im KKL… Neben der Musik war ich damals sehr sportlich unterwegs, trainierte Triathlon und war sogar an zwei Gigathlons am Start.
Nachdem Sie in die Region Olten umgezogen waren, traten sie der Musikgesellschaft Winznau bei, warum?
Ich bin durch Kollegen der «Sörchle-Gugge» auf die Band gestossen. Dies traf sich gut, weil ich wieder in einer Brass Band mitspielen wollte. Unsere Formation ist sehr aktiv und sogar aktuelle Kantonsmeisterin in der dritten Stärkeklasse. Und wir pflegen eine schöne Kameradschaft, das gefällt mir.
Ausgerechnet in den Musikproben traten vor gut zehn Jahre erste Symptome Ihrer unheilbaren Krankheit auf.
Ja, ich konnte die Ventile meines Cornets nicht mehr nach unten drücken, keine schnellen Läufe und somit auch meine Stimme nicht mehr spielen. Damals war ich noch auf dem Repiano Cornet. Der Dirigent sagte mir immer, ich müsse zuhause mehr üben. Doch alles Üben half nicht, es ging einfach nicht.
Nach vielen neurologischen Abklärungen folgte die niederschmetternde Diagnose «Morbus Parkinson». Und dies, obwohl Sie erst 42 Jahre alt waren und eigentlich zu jung für diese Diagnose.
Es war wie ein «Klapf» an die Ohren. Aber Thomas und ich beschlossen bereits kurz nach der Diagnose, die Krankheit anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Musikalisch wechselte ich auf den Bariton.
Morbus Parkinson
Die Parkinsonkrankheit ist eine neurodegenerative Erkrankung, die zu einem fortschreitenden Untergang von Nervenzellen im Mittelhirn führt. Diese sind für die Produktion des Botenstoffs Dopamin verantwortlich. Der resultierende Dopamin-Mangel führt zu diversen Störungen der Motorik. Schon früh im Krankheitsverlauf sterben aber auch in anderen Regionen des Gehirns Nervenzellen ab, die eine Reihe von nicht motorischen Symptomen wie vegetative Störungen, Schmerzen, Krämpfe, Schlafstörungen, psychische Symptome etc. verursachen und für Betroffene immer belastender werden.
Move for Young Parkinson Disease
Mehr über den Verein und die unheilbare Krankheit erfahren:
move4ypd.ch
Für alle, denen Ihr Gesicht schon länger bekannt vorkommt – Ihre Geschichte war Thema in zwei SRF-Sendungen. Einerseits haben Sie sich einen mit dieser Diagnose schier unerreichbaren Traum erfüllt. Erzählen Sie.
Im Jahr 2019 habe ich an der grossen «SRF DOK»-Expedition mit Hundeschlitten quer durch Lappland teilgenommen. Ich habe die fünftägige Tour bei teils minus 30 Grad durchgezogen: dank Medikamenten und meinem starken Willen. Ich bin sehr stolz auf diese Erfahrung und sie gibt mir immer wieder Kraft im Alltag. Wenn man will, kann man alles, und es gibt immer Lösungen. Man muss sich nur trauen und Mut haben.
Sie haben einen Verein für junge Parkinson-Erkrankte gegründet, weshalb?
Nach meiner Diagnose besuchte ich eine Parkinson-Selbsthilfegruppe. Aber ich war die einzige jung Erkrankte… Deshalb gründete ich den Verein «move4YPD». Wir treffen uns für Aktivitäten. Im Herbst 2021 nahmen wir sogar als erstes Schweizer Nationalteam an der Parkinson-Tischtennisweltmeisterschaft in Berlin teil.
In der Sendung «Reporter» sehen wir, dass diese Tour im hohen Norden ein Jahr später nicht mehr möglich gewesen wäre…
Die Symptome und die Schmerzen hatten stark zugenommen und ich erreichte das Medikationslimit. Meine einzige Hoffnung war die Tiefenhirnstimulation. Bei einer Wachoperation wurden mir zwei Sonden ins Hirn operiert. Über Stromimpulse stimulieren sie die Funktion in den Hirnregionen.
Geht es Ihnen heute besser?
Ja, die motorischen Fähigkeiten und damit auch die Fingerbeweglichkeit haben sich merklich verbessert. Ich kann also wieder besser musizieren und habe auch weniger Schmerzen. Ausserdem benötige ich nur noch einen Drittel der Medikamente.
Die «unisono»-Redaktorin durfte Sie an eine Registerprobe der MG Winznau begleiten.
Musik ist das letzte, was ich wegen dem «Parki» aufgeben werde. Wenn ich die Ventile nicht mehr drücken kann, wechsle ich auf die Posaune, dort kann ich ziehen. Oder dann auf die Pauke… [grinst, gibt sich kämpferisch].
Warum ist Ihnen das Musizieren so wichtig?
Das Musizieren beruhigt mich, wirkt wie Meditation und ist gleichzeitig herausfordernd und somit mein Hirntraining. Für mich ist es Psycho- und Bewegungstherapie in einem. Die Proben tun mir gut: ich kann mich dabei entspannen, und je entspannter ich bin, desto besser schlafe ich nachts.
Sie haben von Anfang an sehr offen über Ihre Krankheit gesprochen. Wie haben dies Ihre Vereinskolleginnen und -kollegen aufgenommen?
Absolut positiv. Allgemein interessieren sie sich für mein Schicksal. Teils spüre ich Bewunderung, teils informieren sie sich auf der Website und lesen z.B. im Blog. Ich liebe das Vereinsleben und fühle mich sehr wohl bei den Winznauern.
Was möchten Sie den Lesenden zum Schluss mitgeben?
Solche Diagnosen sollte man im Verein möglichst rasch offen kommunizieren. So helfen alle, das Schicksal zu tragen. Flexibilität hilft, Lösungen zu finden. Musizieren ist Seelenbalsam. Und der Sozialkontakt ist wichtig, damit man nicht zuhause verkümmert.