Der Name Pia Bucher wird einigen in den Ohren klingen. Sie war die erste professionelle Solo-Posaunistin der Schweiz und eine Ausnahme-Musikerin. Die «unisono»-Redaktorin hat Pia Bucher anlässlich ihres 70. Geburtstags getroffen und mit ihr über ihre zwei Karrieren gesprochen. Ja richtig, nach einem Schicksalsschlag ist Pia Bucher ein zweites Mal durchgestartet. Lesen Sie die bemerkenswerte Geschichte einer Frau mit viel Pioniergeist.
Wie sind Sie aufgewachsen und was hat Ihr Vater mit Ihrer Karriere zu tun?
Ich bin mit sechs Geschwistern im ländlichen Entlebuch LU aufgewachsen. Mein Vater war mein grosses Vorbild und Mitbegründer der Kirchenmusik Wiggen. Sein Posaunenspiel, der feierliche Klang dieses Instruments und sein grosser Tonumfang beeindruckten und inspirierten mich. Ich wollte auch Zugposaune spielen. Bereits mit sechs Jahren wusste ich, dass ich entweder Krankenschwester oder Musiklehrerin werden möchte.
Konsequent verfolgten Sie Ihre persönliche Vision und begannen 17-jährig Ihr Musikstudium.
Ja, ich war damals die erste Frau, die das Lehrdiplom für Posaune an der Hochschule in Luzern in Angriff nahm. Anschliessend studierte ich an der Musikhochschule der Künste in Berlin weiter. Dies war schon sehr speziell, musste ich mich doch als einzige Frau unter zehn Jungs beweisen.
Am Ende Ihres Berlin-Studiums war im Radio-Symphonie-Orchester Berlin eine Stelle frei. Sie gingen zum Vorspiel. Erzählen Sie.
Bereits im Stimmzimmer musste ich mir die Bemerkung «Wat will’n Weib hier?!» anhören. Es war eine Sensation und unvorstellbar, dass ich als Frau die Posaune beherrschen kann. Ich spielte vor dem Hundert-Mann-Orchester vor und kam tatsächlich ins Finale. Es war hochspannend und die Diskussionen waren lang, schliesslich musste der Solo-Posaunist für drei Monate ersetzt werden. Sie nahmen mich – eine Frau! Das hatte es bisher noch nie gegeben.
Für die Festanstellung wurde Ihnen allerdings ein Kollege vorgezogen. Wie ging es weiter?
Das war wirklich sehr hart für mich. Ich ging zu meinem Professor an der Hochschule. Er ärgerte sich sehr und sagte, er habe gehört, dass ich am besten gespielt habe. Dann sagte er zu mir, ich müsse lernen, damit umzugehen. Ich erinnerte mich an die Worte meines Studienlehrers in Luzern. Er sagte mir damals, dass ich Pionierarbeit werde leisten müssen und dies schwierig für mich sein werde. Aber ich wollte diese Herausforderung – ich machte nie das, was alle anderen taten!
Sie glaubten an sich und Ihr Können und gingen zum nächsten Vorspiel.
Das war beim Philharmonischen Orchester in Freiburg im Breisgau und ich war mir nicht sicher, dass ich diese Stelle bekommen würde. Doch es klappte, und zugleich immatrikulierte ich mich an der Musikhochschule in Bern für das Solisten-Diplom (heute Master of Performance) und bereitete mich parallel dazu auf die ausgeschriebene Solo-Stelle im Berner Symphonieorchester vor. Auch diese Stelle kriegte ich; das Vorspiel absolvierte ich diesmal hinter dem Vorhang.
Die Karriere, die Sie dann hingelegt haben, ist unvergleichlich.
Ich war 15 Jahre als Soloposaunistin im Berner Symphonieorchester tätig. Daneben war ich 17 Jahre Mitglied des «Slokar Trombone Quartetts» mit internationaler Konzerttätigkeit, und auch als Solistin und Kammermusikerin war ich aktiv und unterrichtete Posaune am Konservatorium in Bern und später in Feldkirch (A).
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Slokar Quartet
Pia Bucher
Das Posaunenspiel war damals alles für Sie.
Wie ich anfangs erwähnt habe, war es ein Wunschtraum von mir, Musikerin zu werden. Die Freude, meine Neugierde sowie die Leidenschaft für das Posaunenspiel standen über allem. Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen. Und ich habe diese Zeit mit meinen Höchstleistungen, die ich erbringen durfte, so richtig ausgekostet. Es war eine glorreiche Zeit.
Dann folgte ein sehr einschneidender Moment, der Ihre Karriere als Musikerin jäh beendete. Was ist passiert?
Wegen eines wackligen oberen Schneidezahns musste ich mich im Jahr 1991 einer parodontalen Operation unterziehen. Danach schien alles gut und ich hatte wieder ganz interessante Auftritte, bis ich ein halbes Jahr später eine hörbare Tonveränderung in der Mittellage feststellte. Bis dorthin kannte ich keine (Ansatz-)Probleme beim Spielen. Mit geeigneten Techniken versuchte ich, weiter zu spielen. Die HNO-Untersuchung brachte keine nachweislichen Ursachen für den Verlust der Mittellage auf der Posaune und so wurde ich vorerst als Simulantin hingestellt. Ein Musikmediziner in Lyon stellte 1992 endlich die Diagnose: unheilbare fokale Dystonie (Kehlkopf-Fehlfunktion), eine Bewegungsstörung mit Verlust der feinmotorigen Kontrolle lange eingeübter, komplexer Bewegungsabläufe. Das bedeutete für mich das Karriereende.
Von einem Tag auf den anderen haben Sie Ihr Ausdrucksmittel verloren.
Eine Musikerin lebt mit dem Instrument – ohne Instrument keine Identität. Es war sehr schmerzhaft, die internationale Bühne als Posaunistin hinter mir zu lassen, und hat eine tiefe Lebenskrise und Trauer ausgelöst.
Doch Sie schöpften in dieser dunklen Lebensphase wieder Kraft. Wie haben Sie das geschafft?
In Kursen und Weiterbildungen lernte ich verschiedene Methoden zur geistigen und körperlichen Entspannung und setzte mich mit meinem seelischen Schmerz auseinander. Aus dieser Zeit schöpfte ich Kraft, Inspiration und Mut, um etwas Neues und Kreatives anzupacken. Durch die Ausbildung zur Kinesiologin konnte ich das Ganze verarbeiten und neue Ressourcen in mir entdecken.
Was ist Kinesiologie?
Die Lehre von der Bewegung ist eine anerkannte Methode der Komplementärtherapie und beschäftigt sich mit Ungleichgewichten im Energiesystem des Körpers, Selbstverantwortung und verbesserter Wahrnehmung. Das Ziel der Kinesiologie ist, die Energieblockaden, die durch übermässigen Stress zu Muskelverspannungen und Schmerzen führen, zu erkennen und abzubauen.
Die Musik-Kinesiologie ermöglicht dem Künstler/der Künstlerin, den Stress bei Auftritten zu mildern und den musikalischen sowie künstlerischen Ausdruck zu verbessern (z.B. Vorspielstress abbauen, Lernblockaden lösen, Rhythmusgefühl steigern, Konzentration und Intonation verbessern).
Im Jahr 1997 haben Sie die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) ins Leben gerufen. Auch in diesem Bereich haben Sie Pionierarbeit geleistet, warum?
Ich erlebte selbst, wie schwierig es ist, professionelle Unterstützung zu finden, wenn man berufsinvalid wird. Eine geeignete Anlaufstelle gab es damals in der Schweiz nicht, obwohl gesundheitliche Probleme unter Musikern nicht selten sind. Um Betroffenen Hilfe anzubieten, wurde ich Initiantin und Gründungsmitglied der SMM. Sie ermöglicht auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Musikerärzten und -therapeuten.
Sie hatten viele Jahre eine eigene Kinesiologie-Praxis in Langenthal. Was führt Musiker/innen aus aller Welt zu Ihnen?
Meine Schwerpunkte bei der Arbeit mit Musizierenden sind das Lösen von Ansatzproblemen bei Blechbläsern, der Umgang mit fokalen Ansatz-Dystonien, Retraining-Programme und vor allem Stressabbau mit Kinesiologie. In Workshops und Kursen fokussiere ich mich auf die Stressbewältigung im Musikerberuf und biete Auftrittscoachings zur Optimierung der Bühnenpräsenz.
Inzwischen sind Sie pensioniert. Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Ich habe meine Tätigkeit als Therapeutin reduziert, individuelle Sitzungen sind aber immer noch möglich. Mein Alltag ist locker, entspannt und voller kreativer Ideen. Weiter erfülle ich mir Träume, für die ich bis jetzt noch keine Zeit hatte – z.B. besuche ich Aufführungen in grossen Opernhäusern.
Wo leben Sie und was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich lebe mit meinem Partner im Berner Oberland, geniesse Wander-, Berg- und Velotouren, lese, spiele Klavier, reise, besuche Museen, koche und esse gerne gut.