Am 3. und 4. Dezember 2022 präsentierte die Concordia de Miège-Veyras in einer Schweizer Uraufführung das Werk «Mondriaan (An Essay in Primary Colors)» von Johan de Meij unter der Leitung des Komponisten. Eine ideale Gelegenheit für «unisono», den vielseitigen und international bekannten Musiker zu treffen.
Der Name Johan de Meij ist bekannt. Könnten Sie sich dennoch kurz vorstellen für die wenigen, die Sie noch nicht kennen?
Ich bin ein niederländischer Komponist und Dirigent. Ich habe über 45 Jahre lang für und mit Blasorchestern gearbeitet. Aktuell wohne ich in New York. Zudem war ich Posaunist, aber seit ich in die USA gezogen bin, widme ich mich ausschliesslich dem Komponieren und Dirigieren.
Was bedeutet die Musik für Sie, abgesehen von der reinen Leidenschaft?
Als ich mit dem Arrangieren und Komponieren begann, war die Musik ein Hobby – und sie ist es bis heute geblieben. Natürlich ist sie mittlerweile zu meinem Beruf geworden. Aber ich betrachte sie nicht als Arbeit in jenem abwertenden Sinn, den der Begriff manchmal hat. Ich hatte das Glück, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Werfen wir einen Blick auf Ihre Kompositionstätigkeit. Wie arbeiten Sie? Was sind Ihre Inspirationsquellen?
Normalerweise ist es eine Anfrage oder ein Auftrag – oder einfach nur ein Wunsch –, der den Arbeitsprozess in Gang setzt. Dabei lege ich zuerst den gestalterischen Rahmen fest, der sich unterscheidet, je nachdem ob es sich um ein Euphoniumkonzert oder eine Symphonie handelt. «Inspiration» ist irgendwie ein Zauberwort. Viele glauben, man müsse nur Inspiration finden, um zu komponieren. Aber so funktioniert es nicht … leider [lächelt]. Die Inspiration kommt erst gegen Ende, wenn sich alle Elemente zusammenfügen. Dann geht alles schneller, während der Anfang seine Zeit braucht, weil man das Thema, die Akkorde und die Form finden muss.
Als Komponist und Dirigent sind Sie häufig als Gastdirigent in der ganzen Welt unterwegs. Wie teilen Sie sich Ihre Zeit ein?
Im Grunde schreibe ich, wenn ich nicht unterwegs bin. Jetzt habe ich seit September nichts mehr geschrieben [Anm. d. Red.: Das Interview fand im Dezember statt], weil ich ständig unterwegs war. Aber ich nehme nicht alle Einladungen an. Das Projekt muss mein Interesse wecken, das Orchester vollzählig sein und ein hohes Niveau haben.
Erzählen Sie uns von Ihrer ersten Symphonie für Blasorchester, «Der Herr der Ringe», die Sie von 1984 bis 1988 geschrieben haben …
Ich könnte stundenlang darüber sprechen [lacht]. Es war mein erstes Originalwerk für Blasorchester. Die ersten Skizzen schrieb ich bereits 1984, aber da es sich nicht um einen Auftrag handelte, stand ich nicht unter Zeitdruck. Ich hatte effektiv den Wunsch, ein umfassendes Werk für diese Besetzung zu schreiben, das so im Repertoire fehlte, wenn man von den Werken absieht, die Hindemith, Gotkovsky oder Berlioz geschrieben haben. Berlioz’ «Symphonie funèbre et triomphale» aus dem Jahr 1840 war die allererste Symphonie für Blasorchester.
Sie wollten also das Genre «fortsetzen» …
Vielmehr es wieder aufleben lassen oder neu erfinden. Als ich sagte, dass ich ein 45-minütiges Werk für Blasorchester schreiben würde, erklärte man mich beinahe für verrückt, weil es zu lang sei. Nebenbei erwähnt: Ich kenne 4-Min.-Stücke, die zu lang sind … Man riet mir auch, mit etwas weniger Anspruchsvollem anzufangen. Es ging mir aber nicht um meinen persönlichen Ehrgeiz, sondern darum, eine Lücke in der damals verfügbaren Literatur zu schliessen. Und heute, 40 Jahre später, gibt es unzählige Symphonien für Blasorchester …
Sie waren also ein Trendsetter…
Ich glaube ja, ohne vermessen sein zu wollen.
Haben Sie die Bearbeitung für Symphonieorchester selbst vorgenommen?
Nein, ich habe sie Henk de Vlieger anvertraut, der sich mit digitalen Notenschreibprogrammen auskannte. Ich habe damals alles von Hand geschrieben [lacht].
Das Blasorchester scheint Ihre bevorzugte Besetzung zu sein. Finden Sie dort mehr Klangfarben und einen Tonumfang, der es Ihnen ermöglicht, mehr Ideen auszudrücken als mit einer Brass Band?
Ich glaube zweifellos an die vielen Möglichkeiten, die das Blasorchester – und noch mehr das Symphonieorchester – bietet. Als junger Mann habe ich in einem Blasorchester gespielt und mich in diesen Orchestertyp verliebt. Ich versuche effektiv, dessen ganze Bandbreite auszuschöpfen.
Wenn Sie nur ein einziges Werk aus Ihrem umfangreichen Repertoire nennen dürften, welches wäre es?
Zweifellos meine dritte Symphonie «Planet Earth».
Warum?
Die Erstellung verlief ausgezeichnet. Die Originalversion wurde für Symphonieorchester komponiert, und ich habe sie dann für Blasorchester bearbeitet, sonst würde sie nicht so oft gespielt werden [lacht]. Auch hier handelte es sich nicht um eine Auftragsarbeit. Ich habe sie zwischen 2005 und 2006 für meine Frau Dyan geschrieben, die ich 2004 kennengelernt habe. Sie hat dann einen wunderschönen Film produziert, der perfekt zur Musik passt. Diese Symphonie wurde 2018 zusammen mit den Bildern in der Schweiz – im Wallis – zum ersten Mal aufgeführt, vom Oberwalliser Blasorchester, das ich für diesen Anlass dirigiert habe.
Sie kennen sich in der Schweizer Blasmusikszene ziemlich gut aus?
Ja, ich war mehrmals hier, unter anderem auch 1990 für die Schweizer Premiere von «Herr der Ringe», ebenfalls mit dem Oberwalliser Blasorchester. Damals war ich eingeladen und dirigierte nicht. «Mondriaan» mit La Concordia de Miège-Veyras war nun mein fünfter Besuch in der Schweiz. Und ich kenne Rolf Schumacher, Carlo Balmelli, Thomas Trachsel und natürlich auch Oliver Waespi, den berühmten Komponisten, sehr gut.
Sie dirigieren regelmässig die New York Wind Symphony und das Kyushu Wind Orchestra in Japan. Wie gestaltet sich diese Tätigkeit?
Das sind professionelle Orchester, die projektbezogen arbeiten: zwei oder drei Proben und ein oder zwei Konzerte.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Musik für Blasorchester?
Sie hat sich in den letzten 25 Jahren ausserordentlich stark entwickelt, mit einer phänomenalen Anzahl neuer Werke von Oscar Navarro, Thomas Doss, Bert Appermont oder eben Oliver Waespi – um nur einige Komponisten zu nennen. Diese Entwicklung macht sich einerseits in den Veränderungen der Instrumentierung bemerkbar, kommt aber andererseits auch in der Kombination mit anderen Kunstformen wie Tanz oder Grafik zum Ausdruck. Wir sind gerade dabei, ein neues Repertoire zu schaffen – und wir brauchen neue Genres.
«Nebst einem brillanten Komponisten und Dirigenten habe ich einen Mann mit grossartigem Charakter kennengelernt. Johan ist gleichzeitig leidenschaftlich, sensibel, anspruchs- und verständnisvoll.»
Lionel Emery, Präsident von La Concordia de Miège-Veyras
Woran arbeiten Sie gerade, was sind Ihre aktuellen Projekte?
Ich habe für Mai 2024 einen Kompositionsauftrag von der «Banda Municipal de Barcelona» erhalten, einem professionellen Blasorchester. Ich komponiere ein Werk, das auf der literarischen Tetralogie «Der Schatten des Windes» von Carlos Ruiz Zafón basiert. Aber davor muss ich eine festliche Ouverture für das Haager Jugendorchester fertigstellen – dem ich selbst angehörte. Es feiert im April 2023 sein 100-jähriges Jubiläum.
Stellen Sie sich vor, Sie …
… wären ein anderer berühmter Komponist …
Sergei Prokofiev
… wären ein anderer bedeutender Dirigent …
Leonard Bernstein
… wählen eine andere Kunst als die Musik …
die Malerei