Hochstehende Musik für die Eliten. Musicals, Polkas und Märsche für «das Volk»? Dieses weit verbreitete Narrativ wurde am samstäglichen Podiumsgespräch anlässlich von aVENTura diskutiert und hinterfragt.
Vorneweg: Moderatorin Michèle Schönbächler schloss die vom Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband (BDV) organisierte Diskussion mit der Feststellung: «Es gibt nicht die eine Wahrheit. Die Frage, ob die Blasmusik am Volk vorbei spiele, hat viele Facetten.»
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion kurz vorgestellt
- Katja Weber ist Dirigentin. Sie dirigiert, seit sie 21 ist, im Moment den Musikverein Konkordia Au.
- Roger Kipfer arbeitet in der Bundesverwaltung, er ist Dirigent der MG Wilderswil.
- Felix Hauswirth war an der Musikhochschule Basel Professor für Blasorchesterdirektion.
- Verleger Michael Hug leitet den Verlag Musik Ruh.
- Marc Jeanbourquin ist Lehrer und Komponist. Allein im Jahr 2023 hat er bereits zehn Werke veröffentlicht.
- Thomas Trachsel ist Komponist und Präsident der Musikkommission des Schweizer Blasmusikverbands.
- Moderatorin Michèle Schönbächler ist Co-Programmleiterin SRF1 und Musikwelle und moderiert die Sendung «Persönlich» auf SRF 1 – sie ist aber auch Klarinettistin, kantonale Veteranin und Mitglied der Feldmusik Sarnen.
Die Teilnehmenden sind auf dem Beitragsbild in der Reihenfolge v.l.n.r. zu sehen.
Ausschnitte aus der Diskussion
Thomas Trachsel kann zum Beispiel nachvollziehen, wenn seine Musik dem Orchester gefällt, dem Publikum aber nicht. Schlimm wäre für ihn nur Gleichgültigkeit.
Roger Kipfer ist der Meinung, man müsse für «das Volk», das Publikum spielen. Er wählt das Repertoire nicht selbst aus. Jedes Mitglied kann Vorschläge einbringen, die Musikkommission selektioniert diese und wählt aus, was ihr gefällt. Dann spielt der Verein diese Stücke an und wählt schliesslich aus. Zwei Werke jedoch bestimmt der Dirigent selbst.
Felix Hauswirth bezeichnet die Programmgestaltung als Aufgabe des Dirigenten. Eine basisdemokratische Programmierung sei für ihn ein No-Go. Wichtig sei, dass er ein Stück gut finde und es ihm auch gefalle: Der Dirigent muss seine Freude auf das Orchester übertragen, und wenn das Vertrauen da sei, könne man zusammen auch das Publikum überzeugen.
Katja Weber meint, «Gehörbildung» müsse nicht nur beim Orchester, sondern auch beim Publikum stattfinden. Ungewohnte Musik müsse aber gut eingeführt werden. Trachsel konterte, man könne sein Publikum nicht erziehen oder bevormunden, aber man könne es auswählen. Es brauche neue, öffnende Formen der Zusammenarbeit, auch über Gemeindegrenzen hinaus.
Neue Wettstückliste
Trachsel betonte, die Wettstückliste sei nur für den Wettbewerb am Eidgenössischen Musikfest massgebend. Sie beschränke nicht die Möglichkeiten der regionalen und kantonalen Gremien. Die Liste umfasste früher 3000 Werke, heute noch 1000 – und viele der gestrichenen Werke seien seit Jahrzehnten nicht mehr gespielt worden. Er würde die Liste am liebsten abschaffen. Sie gäbe aber die Möglichkeit, Werke auf einem bestimmten Niveau einzureichen.
Programm-Musik oder absolute Musik?
Hauswirth: Es sei super, wenn das Publikum eine Geschichte hinter der Musik spüre, aber Musik müsse nicht erklärt werden. Auch für Trachsel ist es wichtig, dass die Musik selbst «schön» ist. Marc Jeanbourquin fand ebenfalls, am wichtigsten sei die Musik. Er finde oft erst am Schluss des Kompositionsprozesses einen Titel für ein neues Stück.
Michael Hug wirft ein, dass er als Verleger nicht unglücklich sei, nicht 100 Werke von Trachsel herausgeben zu müssen. Denn letztlich müsse er auch rechnen …
Wissen wir denn überhaupt, was das Publikum will? Schönbächler erinnerte an die Erwartungshaltung. Diese ist an einem Konzert eines Höchstklasse-Orchesters anders als an einem Anlass eines Dorfvereins.
Und man möchte eine Analogie hinzufügen: Ob Schnellimbiss oder Gourmetrestaurant: Wenn die Qualität stimmt, kommt man gerne wieder.