Ein Veteran blickt zurück

Hans Beer beim Posaunenspiel
Hans Beer, Mitglied des Musikvereins Gretzenbach schildert seine persönlichen Erinnerungen an 70 Jahre Blasmusik und streut eine Handvoll «Erinnerungskonfetti». Sein Fazit: Es hat sich gelohnt!
Porträt Hans Beer Foto: Foto Basler
Hans Beer, Posaunist im Musikverein Gretzenbach und CISM-Veteran

In meiner Jugendzeit war es selbstverständlich, dass vor allem die Kinder von Musikanten bei Anlässen des Musikvereins dabei waren.

Meine Anfänge

Schon bald einmal konnte ich auch auf der Posaune meines Vaters die Tonleiter spielen. 1954 wurde die Knabenmusik Gretzenbach gegründet. Und bereits 1957 durften wir beim Eidgenössischen Knabenmusikfest in Zürich mitwirken: 17 Buben, einige in kurzen Hosen, ein Fähnrich und der Dirigent. Bei der Marschmusik ernteten wir Applaus, selbst wenn wir nicht spielten. Dies wohl wegen dem «Jöh-Effekt» unseres Trüppchens zwischen zwei grossen städtischen Jugendmusikkorps. Meine musikalischen Anfänge in der Knabenmusik machte ich auf dem B-Horn. Erst einige Jahre später durfte ich auf die Zugposaune wechseln, mein Trauminstrument wechseln. Ihm bin ich bis heute treu geblieben.

Erste Erfahrungen bei den «Grossen»

1961 trat ich in dem Musikverein Gretzenbach ein. Überrascht und beeindruckt war ich, dass ich mich von Anfang an als gleichwertiges Musikmitglied fühlen durfte. Die damals «Alten» (50- bis 60-Jährige) boten mir sofort das Du an.

Dabei machte ich meine ersten Erfahrungen mit demokratischen Entscheidungsprozessen. Selbst wenn es um läppische Themen wie das Menü an der Generalversammlung ging: «Nicht schon wieder Härdöpfustock», meinte ein Hornist. «Und ich will keine Chinesenbrösmeli» (Reis) knurrte ein Bassist. Es wurde abgestimmt und entschieden – und schmeckte schliesslich allen.

Schnell wurde mir auch klar, dass ein Musikverein nur mit echter Teamleistung erfolgreich auftreten kann. Es gibt ausgezeichnete und auch schwächere Bläser – in einem Dorfverein müssen sie zusammenfinden und sich ergänzen. Am Schluss und beim Wettstück zählt nur die Gesamtleistung.

Funktionen im Verein

Früh schon durfte ich Ämter übernehmen. Ich wurde Aktuar und damit Vorstandsmitglied. Es war eine Zeit mit wertvollen Erfahrungen im administrativen Bereich des Vereins und in enger Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen. Anspruchsvoller war beispielsweise die Organisation von regionalen Musiktagen. Berufliche Kenntnisse konnte ich nutzen – aber die Erfahrungen im Verein mit ganz unterschiedlichen Aufgabenstellungen halfen mir auch im Beruf.

Vertiefte Kenntnisse der Vereinsgeschichte konnte ich mir durch das Studium aller Protokolle (einige der alten sogar in Spitzschrift oder Sütterlinschrift) bis zurück zur Gründungszeit aneignen. Diese Informationen brauchte ich für die Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum 1977. Dankbar war ich den jeweiligen Protokollführern, dass sie nebst dem reinen Vereinsbetrieb oft auch Einblick in die jeweiligen Lebensumstände und Probleme vermittelten. Jede Generation hält sich für «modern» und klüger als die Vorfahren. Arbeit, Technik, Verkehrsmittel ändern – die menschlichen Probleme im Zusammenleben aber bleiben weitgehend die gleichen.

Verein: Menschlicher Aufwand und Ertrag

Meine jahrzehntelangen Erfahrungen als Vereinsmitglied zwingen mich zu einem fast «philosophischen Einschub», wofür ich die geneigte Leserschaft um Nachsicht bitte. Nicht nur Vereine verschiedenster Art, sondern auch Gemeinden oder Parteien leiden unter Nachwuchsmangel. Immer weniger Leute sind bereit, sich in einer Gemeinschaft zu engagieren, wenn sich nicht sofort sichtbare persönliche Vorteile einstellen.

Aus langer persönlicher Erfahrung kann ich behaupten: Das ist falsch. Natürlich braucht es (zeitlichen) Einsatz in einer Gemeinschaft, also Aufwand. Aber der Ertrag für sich selbst ist mindestens ebenbürtig, wenn auch nicht messbar. Gemeinsames Arbeiten auf ein Ziel hin, soziale Kontakte mit Menschen unterschiedlichster Berufe und Altersgruppen und Überzeugungen (ausserhalb der eigenen Blase), zusammen erlebte Erfolge und Misserfolge, Erkenntnisse für menschliche oder sachliche Zusammenhänge – dies alles bereichert die eigene Persönlichkeit und öffnet den Blickwinkel.

Theaterspielen im Musikverein

Unvergesslich bleibt die Zeit des Theaterspielens. Es bestand eine lange Tradition, dass am jährlichen Unterhaltungsabend nebst dem musikalischen Teil auch ein Theater aufgeführt wurde. «Unter Mitwirkung hiesiger Töchter», wie es in alten Programmen so schön hiess. Auch der bescheidene Laienschauspieler begibt sich für die Dauer seines Theaters in eine besondere Welt.

Zuerst die vielen Proben, die Zweifel, ob der Text jemals auswendig sitzen wird, die Ermahnungen des Regisseurs. Und dann der Augenblick der Aufführung, die ersten Schritte und Worte auf der Bühne. Manchmal eine Handlung, die einen mit sich fortreisst und die Grenze zwischen Theater und Wirklichkeit und Publikum im Saal seltsam verwischt. Zum Schluss die leise Wehmut, dass alles (schon) vorbei ist.

Übrigens habe ich beim Theaterspielen meine spätere Frau kennengelernt – wohl das allerbeste Ergebnis und der grösste Erfolg meiner Vereinstätigkeit.

Eidgenössische Musikfeste

1971 erlebte ich mein erstes Eidgenössisches Musikfest in Luzern. Gretzenbach war mit seinen Vorträgen am Sonntag an der Reihe. Konzerte anderer Vereine und der Unterhaltungsabend in der Festhütte wurden gemeinsam besucht – um 23 Uhr dann Unterkunftsbezug und Nachtruhe.

Irgendwie habe ich die Nacht mit wenig Schlaf in schlechter Erinnerung. Vielleicht waren es Aufregung und Lampenfieber, vielleicht aber auch die ungewohnten Feldbetten. Unsere seriöse Vorbereitung hatte sich gelohnt, wie dann die Bewertung in den Wettspielen mit einem «vorzüglich» und in der Marschmusik mit einem «sehr gut» zeigte.

Eindrücklich war der Empfang zuhause durch Behörden, Vereinsdelegationen und Bevölkerung. Bei vielen anderen «Eidgenössischen» habe ich in der Folge mitwirken dürfen. Bemerkenswert ist, mein wohl letztes Eidgenössisches Musikfest (wiederum top organisiert), das ich in Luzern 2006 erlebte.

Austritt oder Weitermachen?

Das Mitmachen im Verein war nicht immer einfach. Aber irgendwie gelang es dann doch wieder. Früher hatten wir am Freitag Probe. So konnte ich trotz Arbeit als Wochenaufenthalter in St. Gallen und Luzern die Proben zuhause besuchen. Der Freitag eignete sich auch ideal für längere bis lange Ausdehnungen des geselligen Teils …

Später stiess ich einige Male durch grosse berufliche Belastung und politische Ämter sowie weitere ausserordentliche Projekte an persönliche Grenzen. Auch die Familie kam manchmal zu kurz. In solchen Situationen erwog ich den Austritt aus dem Verein. Mein Vater meinte dazu: «Man kann nicht nur arbeiten, der Mensch braucht auch einen Ausgleich. Sonst kommt es nicht gut.» Er hatte recht, wie ich rückblickend feststellen durfte.

Ehrungen

Im Laufe der vielen Jahre erhielt ich immer wieder Ehrungen aufgrund meines «Dienstalters». Angestrebt hatte ich eigentlich nur die Ehrenmitgliedschaft im Verein, die damals noch nach 25 Aktivjahren verliehen wurde. Dann muss der Musikverein einmal an meiner Beerdigung spielen – so der vielleicht etwas makabere Gedanke, der damals tatsächlich bei mir auftauchte.

Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal CISM-Veteran würde. Nebst meiner guten Gesundheit ist diese Würdigung auch meiner Ausdauer oder meinem Verharrungsvermögen zu verdanken. Aber ehrlich: Ich freue mich darüber.

Dirigenten

Im Laufe meines Musikantenlebens spielte ich unter einer Dirigentin und zwölf Dirigenten. So unterschiedlich sie waren, hatten alle ihre Eigenheiten. So wie wir alle – oft nur etwas ausgeprägter. Meine sehr vereinfachte Erkenntnis: Dirigenten sind Künstler und Künstler dürfen ein bisschen eigenartig sein.

Im Laufe der Zeit sind auch die Anforderungen an Dirigenten von Amateurvereinen enorm gestiegen. Musikalisch ohnehin, aber auch menschlich. Was früher etwa an forschen Forderungen oder «Aus- und Anfällen» durchging, ist heute undenkbar. Die Leute würden davonlaufen.

Emotionale Bindungen

Erst mit fortschreitendem Alter und in kritischen Zeiten (des Vereins oder persönlichen) wurde mir bewusst, wie tief meine emotionale Bindung an den Musikverein ist. Es geht nicht nur um das Musizieren. Seit jeher gehörte für mich auch das gesellschaftliche Leben samt «Bier nach der Probe» dazu. Geschlecht, Alter, Beruf spielen keine Rolle.

Eine zusätzliche Beziehung besteht auch aus meiner Familie heraus, waren doch fünf Generationen im Musikverein aktiv. Vom Urgrossvater als Gründungsmitglied über den Grossvater als Präsident bis zu meinem Vater und meiner Mutter. Dann meine Frau als Theaterspielerin und Ehrendame und später meine beiden Töchter als Ehrendamen.

Der Einzelne wird wichtiger

Der Musikverein Gretzenbach ist nach einigen Hochs und Tief von einst fast 40 Mitgliedern nach einer Neuorganisation auf heute 14 Aktive geschrumpft. Die musikalische Neuausrichtung, zusammen mit einem engagierten Dirigenten, ist bisher gelungen. Ein Verein braucht aber auch eine administrative Leitung.

So bin ich halt als «Oldtimer» wieder im Vorstand als Kassier aktiv und betreue einige andere Aufgaben wie die Website. Als Pensionierter habe ich Zeit. Es ist schön, meine im Berufsleben erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen wieder anzuwenden und Neues dazulernen zu dürfen.

Freud und Leid

Weh tut es, Menschen zu verlieren, mit denen man jahrzehntelang zusammen musiziert oder auch private Freundschaften gepflegt hat. Einige können gesundheitlich nicht mehr musizieren, andere sind gestorben. Da werden Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse bis zurück zur Jugendzeit wach.

Aber es gibt auch Grund zur Freude: Die neue Begeisterung, mit der im kleinen Verband musiziert wird. Oder die zuletzt zum Verein gestossenen Mitglieder, die sich in Vorstand und Musikkommission einsetzen. Oder mein Posaunenkollege, dessen Vater schon zusammen mit mir Posaune gespielt hatte. Die Hoffnung, dass damit auch die nächsten Generationen den Verein weitertragen. Wie auch immer. Mein persönliches Fazit: Es hat sich gelohnt!

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